Der Tonkühlschrank 2.0: Stromloses Kühlmöbel für die Küche mit Verdunstungskälte und PCM-Puffer
Ohne Strom frischer lagern? In heißen Sommern bleiben Obst, Wurzelgemüse und Kräuter selten lange knackig. Gleichzeitig landen in Europa laut Studien rund 30 % frischer Lebensmittel im Müll. Die Lösung: ein stromloses Kühlmöbel aus Ton, das Verdunstungskälte mit einem Phase-Change-Speicher (PCM) kombiniert und nachts über regenerative Querlüftung „nachlädt“. Ideal für Küchen, Speisenischen oder Tiny Houses – leise, wartungsarm und ästhetisch.
Funktionsprinzip: Verdunstung + thermischer Puffer
Der Tonkühlschrank 2.0 nutzt drei physikalische Effekte:
- Verdunstungskälte: Feuchtigkeit wandert kapillar nach außen und verdunstet an porösen Terrakotta-Paneelen. Pro Gramm Wasser werden ca. 2,4 kJ Wärme entzogen. Ergebnis: Innentemperatur sinkt typischerweise um 4–10 K – abhängig von Außenklima und Luftbewegung.
- Kapillar-Dochtsystem: Ein Dochtvlies versorgt die Tonhaut aus einem verdeckten Wasserreservoir selbsttätig. Ein sanfter Luftzug (natürlicher Kamineffekt) verstärkt die Verdunstung.
- PCM-Puffer: Ein Bio-PCM (Schmelzpunkt 16–18 °C) in schlanken Flachakkus speichert Kälte in der Nacht und stabilisiert tagsüber die Temperatur, selbst wenn die Luftfeuchte steigt.
Aufbau des Kühlmöbels
Schichten und Komponenten
- Außenhaut: 12 mm Terrakotta-Panel, offenporig, kapillaraktiv
- Kapillarmatte: Zellulose-/Glasfaser-Docht 3 mm, austauschbar
- Wasserreservoir: 3–5 l PE-Tank mit Schwimmerventil, Nachfüllstutzen
- PCM-Module: 8–12 Flachakkus à 200–250 ml (Schmelzpunkt 16–18 °C), in Rückwand und Böden
- Innenkorpus: Birke-Multiplex 12 mm, lebensmittelecht geölt
- Luftführung: verdeckte Einlassschlitze unten, Auslass oben; optional leiser 5 V-USB-Lüfter (<0,5 W) mit Hygrostat
- Türen: Rahmen mit Leinen- oder Jutetextil (luftdurchlässig), Magnetverschluss
Parameter |
Empfehlung |
Hinweis |
Außenmaß |
H 120 × B 60 × T 45 cm |
2–3 Ebenen, stapelbar |
Panelfläche Ton |
ca. 1,6 m² |
je mehr Fläche, desto mehr Kühlleistung |
Wasserverbrauch |
0,7–1,2 l/Tag |
abhängig von Klima und Luftzug |
Temperaturabfall |
4–10 K |
bei 25–35 °C Außenluft |
Innen-RF |
70–85 % |
optimal für Blattgemüse, Kräuter, Wurzeln |
Leistungsabschätzung nach Klima
Die erreichbare Temperatur hängt stark von der relativen Luftfeuchte (RF) ab:
Außenklima |
Beispiel |
ΔT realistisch |
Praxis |
Trocken (RF 25–40 %) |
Hochplateau, windig |
8–10 K |
Innen 18 °C bei 28 °C außen möglich |
Mittel (RF 45–60 %) |
Mitteleuropa, Sommer |
5–7 K |
Innen 19–21 °C bei 26 °C außen |
Feucht (RF 65–80 %) |
Küsten, Gewitterlage |
2–4 K |
PCM-Puffer wird wichtig |
Was lagert gut – und was nicht?
- Geeignet: Äpfel, Birnen, Beeren (kurzzeitig), Salate, Spinat, Kräuter, Möhren, Rote Bete, Radieschen, Rettich, Kohlrabi, Zucchini, Gurken, Tomaten (nicht zu kalt), fermentierte Gläser.
- Nicht geeignet: Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Sahnetorten – benötigen 0–7 °C! Für diese Lebensmittel ist ein regulärer Kühlschrank Pflicht.
Hygienekonzept und Pflege
- Innen trocken halten: Verdunstung läuft außen. Innenflächen diffusionsoffen, aber nicht nass betreiben.
- Reinigung: Wöchentlich mit 3 % Essigwasser auswischen; Tonaußenhaut nur mit klarem Wasser.
- Filter: In Einlassschlitzen Pollenfiltervlies (G2/G3) gegen Staub, vierteljährlich tauschen.
- Materialwahl: Leim frei von Formaldehyd, Öle nach LFGB. Keine stehenden Wasserlachen im Reservoir.
- Geruchsmischung: Äpfel getrennt lagern (Ethylengas beschleunigt Reife).
Fallstudie: Berliner Altbauküche (Sommer, 8 Wochen)
- Aufbau: H 120 × B 60 × T 45 cm, 1,7 m² Tonfläche, 10 × 220 ml PCM (17 °C), passiver Betrieb + Nachtlüftung
- Außenklima: 24–33 °C; RF 42–65 %
- Innenwerte:
- Tags: 17,8–20,5 °C
- Nacht: 15,5–17,0 °C (PCM voll „geladen“)
- Innen-RF: 74–82 %
- Haltbarkeit:
- Salat: 3 statt 1,5 Tage knackig
- Möhren: 14 statt 7 Tage ohne Gummigefühl
- Kräuter (Bund): 4–6 Tage aromatisch
- Wasserverbrauch: 0,9 l/Tag (Ø)
DIY: Bauanleitung Schritt für Schritt
Materialliste (für 60 × 45 × 120 cm)
- 8 × Terrakotta-Paneel 600 × 300 × 12 mm, offenporig
- Kapillar-Dochtvlies 2 m², 3 mm
- PE-Wassertank 5 l mit Schwimmer + Silikonschlauch 6 mm
- Birke-Multiplex 12 mm, Zuschnitte für Korpus + Böden
- 10 × PCM-Flachakku 220 ml (Schmelzpunkt 16–18 °C, Bio-PCM)
- Leinengewebe für Türfüllungen, Magnetriegel
- Edelstahl-Lochblech 1 mm (Luftschlitze), Filtervlies
- Lebensmittelechtes Hartöl, PU-freier Konstruktionskleber, Tonklebemörtel
- Optional: 5 V-USB-Lüfter 80 mm, Hygro-/Thermosensor (Matter/Thread)
Montage
- Korpus bauen: Multiplex zuschneiden, verschrauben/verleimen. Luftschlitze unten (Einlass) und oben (Auslass) einfräsen, mit Filtervlies hinterlegen.
- PCM integrieren: Flachakkus hinter der Rückwand und unter den Böden mit Halteleisten fixieren (gute Wärmeübertragung sicherstellen).
- Reservoir setzen: 5 l Tank unten einbauen, Schlauch zum Dochtvlies führen. Tropfstelle als Trennrinne ausführen, sodass Wasser nur die Außenhaut versorgt.
- Kapillarsystem: Dochtvlies entlang der Innenseite der Tonpaneele nach unten führen, Kontakt zur Außenhaut sicherstellen, Kapillarstart mit Sprühflasche anfeuchten.
- Tonpaneele montieren: Außen auf Korpus mit Tonklebemörtel fixieren. Fugen klein halten, Ecken mit Tonprofilen schließen.
- Türen bauen: Leinen in Rahmen spannen, Magnetverschluss montieren. Luftdurchlässigkeit erhalten.
- Oberfläche: Innenflächen leicht ölen, Außen-Ton unbehandelt lassen. Probelauf 24 h, Leckagen prüfen.
Bauzeit: 6–8 h, DIY-Kosten: ~ 380–520 € (Region abhängig).
Pro und Contra
Aspekt |
Pro |
Contra |
Energie |
Kein Strom für Kühlung nötig |
Leistung klimaabhängig |
Lautstärke |
Geräuschlos |
Optionaler Lüfter erzeugt leises Rauschen |
Lebensmittel |
Ideal für Gemüse/Kräuter |
Nicht für Fleisch/Milch |
Wartung |
Einfache Reinigung |
Filter/Docht 1–2×/Jahr tauschen |
Design |
Warme Tonoptik, individuelle Türen |
Benötigt 0,7–1,2 l Wasser/Tag |
Smart-Optionen (ohne Kühlstrom)
- Sensorik: Batteriebetriebener Temperatur-/Feuchtesensor mit E-Paper-Display; Daten per Thread/Matter ins Smart Home.
- Nachtlüftung: Fenster-Aktor öffnet bei Außentemperatur < Innen und RF < 80 %, um PCM zu „laden“.
- Sanfter Luftzug: USB-Lüfter schaltet nur bei RF > 70 % kurz zu, um Verdunstung zu stützen.
Designvarianten für Küche und Esszone
- Inselaufsatz: 40 cm hoher Aufsatz mit Tonlamellen, oben Kräuterkasten, seitlich Luftschlitze.
- Nischen-Säule: Schlanke 35 cm Tiefe, Front aus gewebtem Leinen, seitliche Tonrippen.
- Wandhängend: Zwei 60 × 40 cm Module übereinander, leicht zu reinigen, kindersicher.
Kosten- und Einkaufstipps
- Tonpaneele: Nach Fliesenmuster kaufen; offenporige, unglasierte Ware bevorzugen.
- PCM: Bio-basierte Typen mit 16–18 °C Schmelzpunkt; flache Module erleichtern Wärmeübergang.
- Holz: Multiplex statt Spanplatte (Feuchtebeständigkeit, Emissionen).
Nachhaltigkeit und Gesundheit
- Null Kältemittel, keine Kompressoren, keine Geräuschemissionen.
- Reparierbar: Docht, Filter, PCM-Module austauschbar; Tonpaneele langlebig.
- VOC-arm: Öle/Leime mit Zertifikat wählen; Textiltüren aus Naturfasern.
- Wasserbilanz: 1 l/Tag entspricht einer kurzen Duschsekunde – ökologisch vertretbar.
Sicherheit und Grenzen
- Kein Ersatz für Kühlschrank bei leicht verderblichen Lebensmitteln.
- Kondensate vermeiden: Innenflächen trocken halten, Luftschlitze nicht blockieren.
- Standort: Nicht direkt neben Kochfeld/Backofen; leichte Luftbewegung im Raum hilfreich.
Fazit: Frische ohne Steckdose – jetzt ausprobieren
Der Tonkühlschrank 2.0 kombiniert traditionelle Verdunstungskühlung mit modernem PCM zu einem leisen, schönen und alltagstauglichen Küchenmöbel. Wer Gemüse länger knackig halten will, spart damit Strom, Platz und Lebensmittel. Starten Sie klein mit einem wandhängenden Modul oder planen Sie die Lösung direkt als Inselaufsatz ein. Tipp: Führen Sie 1–2 Wochen Messungen mit einem Funkthermometer durch, um Luftführung und Wasserfluss optimal einzustellen.
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